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  • AutorenbildRuth Busl

Das Kreuz mit dem Gendern


Gendern lässt Emotionen hochkochen. Ich selbst gendere, so gut es geht und solange es „lesbar“ ist. Und ich stehe dazu. Warum? Weil Sprache diskriminieren kann, weil Sprache Aufmerksamkeit generiert und Wirklichkeit schafft. Weil Studien zeigen, dass das implizierte „Mitmeinen“ im Deutschen Sprachgebrauch nicht funktioniert, auch wenn das generische Maskulinum „geschlechtsneutral“ sein soll. Die meisten Menschen stellen sich nämlich beim Wort „Lehrer“ tatsächlich immer noch eine männliche Lehrkraft vor und denken bei der Frage nach bekannten Schriftstellern zuallererst an männliche Vertreter der schreibenden Zunft. Und ich gendere, weil es in der Gesellschaft noch nicht richtig angekommen zu sein scheint, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt. Ich gendere, obwohl ich weiß ich, dass eine geschlechtergerechte Sprache noch lange nicht zu einer gerechteren Welt führt.


Gendern kostet Zeit und viel Denkkraft

Sprache ist mein Beruf. Und als Texterin unterliege ich dem Diktat maximal möglicher Zeichenmengen. Und so lande ich immer wieder beim dem Problem: Politische Korrektheit versus Textlänge? Am liebsten würde ich ja immer beide Geschlechter nennen: die Leserinnen und Leser – zumindest dann, wenn es zu viel Hirnschmalz kostet, eine genderneutrale Form (Leserschaft) oder eine Substantivierung (die Lesenden) zu finden. Das kostet mich nicht nur Zeichen, damit diskriminiere ich. Also muss ich mich für ein Sonderzeichen entscheiden, einen Platzhalter für all jene Personen, die sich weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zuordnen: Leser:innen, Leser*innen oder Leser_innen. Doppelpunkt, Sternchen oder Unterstrich? Was ist jetzt korrekt? Über die Duden-Inklusions-Variante mit der unsäglichen „Schrägstrich-Bindestrich-Form“ (Mitarbeiter/-innen) denk ich erst gar nicht nach.

Egal, für welches Sonderzeichen ich mich entscheide: ein Gender-Zeichen kann irritieren und das Textverständnis erschweren und von den Inhalten ablenken. Schon der versierte Lesende stolpert hin und wieder über gendergerechte Texte, ganz zu schweigen von all jenen Menschen, für die Deutsch keine Muttersprache ist oder eine Leseschwäche haben. Stichwort Screenreader. Das Sternchen-Gendern klingt dann so: „Liebe Mitarbeiter Stern Innen“. Eine leichte Sprache und eine gendergerechte Sprache folgen definitiv konträren Regeln. Ist Gendern ein Abschied von der Barrierefreiheit? Man könnte jetzt die Auffassung vertreten, dass eine gendergerechte Sprache wichtiger sei als Barrierefreiheit. Aber wir sprechen hier ja von Inklusion, womit kein Mensch – auch nicht beim Lesen/Hören – ausgeschlossen oder benachteiligt werden sollte.

Manchmal schüttelt es mich auch angesichts der Wortkonstruktionen, die ein erbarmungsloses Gendern mit sich bringt. Meiner Liebe zur Sprach-Ästhetik wegen. Und was die Schwierigkeit von grammatikalisch korrekten Lösungen beim Gendern angeht, muss ich dann doch dem Rat für Deutsche Rechtsschreibung zustimmen, der sich deswegen ausdrücklich gegen mehrgeschlechtliche Bezeichnungen ausspricht. Und seine 41 Mitglieder, die alle über die deutsche Sprache forschen und lehren, müssten es ja eigentlich wissen.


Ungleichheiten beseitigen statt um Sonderzeichen kämpfen

Auch wenn Umfragen zeigen, dass ein Großteil der Deutschen mit einer gegenderten Sprache nichts anfangen kann, sie überflüssig findet oder genervt davon ist: Die Forderung nach einer inklusiven Schreibweise und einer respektvollen, diskriminierungsfreien Kommunikation ist in unserer Gesellschaft angekommen. Das können wir nicht mehr ignorieren. Aber statt jedes Wort auf die Goldwaage zu legen, sollte sich unser Fokus auf die Auflösung der massiven Ungerechtigkeiten konzentrieren, die auch noch im 21 Jhd. zwischen den Geschlechtern herrscht. Begriffe wie Gender Pay Gap, Gender Pension Gap, Gender Care Gap etc. zeigen eindrücklich, dass Frauen und Männer im 21. Jhd. noch lange nicht gleichbehandelt und politischer Handlungsbedarf besteht, gleiches gilt für Barrierefreiheit und Diversity. Wir brauchen eine echte Gleichstellung!



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